Begegnung in Europas Prärie
Der von Valeska Grisebach behutsam inszenierte, mit Laiendarstellern besetzte Film, heisst nicht nur Western - er ist in gewisser Weise auch einer. Denn Grisebach nutzt die bekannten Muster des Genres, um vor unberührter Natur eine klassische, aber in die Gegenwart transferierte Wildwest-Geschichte zu erzählen.
Eine Gruppe von ostdeutschen Saisonniers soll an der Grenze zwischen Bulgarien und Griechenland ein Wasserwerk bauen. Das fremde Land und die umwerfende Landschaft wecken die Abenteuerlust bei den Männern, aber sie sehen sich auch mit eigenen Vorurteilen und Misstrauen konfrontiert. Aufgrund ihrer Sprachbarrieren und kulturellen Differenzen ist der Austausch mit der lokalen Bevölkerung nicht immer einfach.
In ihrem ungemein feinfühlig inszenierten Spielfilm betrachtet Valeska Grisebach Momente von Begegnungen und Versuche von Verständigung - einfach wunderbar!
Der Filmtitel Western passt und kann gleichzeitig irreleiten: Mit «Western» verbinden wir ein Filmgenre, in dem Cowboys eine Rolle spielen, Pferde, prächtige Landschaften, männliche Abenteuerlust und: die Moral. Es sind Archetypen, die in den klassischen Western auftreten, sie stehen für menschliches Verhalten zwischen Gut und Böse. In unserem Film gibt es die typischen Elemente des Genres zwar auch und ausgeprägt, aber Western ist gleichzeitig weit davon entfernt, ein Western zu sein. Die Regisseurin Valeska Grisebach sagt: «Mich berührt das Vielschichtige, Widersprüchliche, Schillernde an den Motiven des Western, die das Genre selbst ständig reflektiert oder in Frage stellt.» Es sind die Schwächen einer jeden Figur, die diesen Film so ungemein stark machen.
Eigentlich ist der Film ja ein Eastern, denn die anreisenden Männer hier sind Deutsche, die nach Bulgarien und also in den Osten reisen. Sie sollen den Bau einer Wasserfassung vorbereiten und kommen nur zögerlich in Kontakt mit der lokalen Bevölkerung. Vom Genre her finden sich Elemente wie die Abenteuerlust, wilde Landschaft, Pferde und Dorfstrukturen, es schält sich ein eher Guter heraus und ein eher Böser, aber nicht nur, denn alle Figuren sind auch Kinder der Umstände, aus denen sie stammen, in denen sie leben. Die Menschen aus dem Dorf träumen von anderswo und sitzen fest, die Männer auf dem Bau stammen aus Ostdeutschland und sind froh um die Arbeit, die sich da bietet.
"Western ist eine Perle. Wie unser Alltag ist das meiste unspektakulär, birgt alles Ansätze zum Näherkommen wie zum Konflikt. Hier lenkt nicht Aktion ab, hier führt die ruhige Inszenierung in eine ungemein dichte Atmosphäre und hin zu Wesentlichem im zwischenmenschlichen Umgang: Wer ist der andere? Wie können wir uns verständigen? Grossartig, wie unaufgeregt die Filmemacherin das Geschehen betrachtet, die Entwicklungen beschreibt, die Fragilität einer jeden Situation, die in die eine Richtung kippen kann oder in die andere. Ein friedlicher Film voller Sprengstoff, etwas vom Dichtesten, was ich im Kino der letzten Jahre gesehen habe.
Valeska Grisebach beobachtet feinfühlig die Gruppendynamik der Saisonniers und begleitet sie von der Abreise in Deutschland über die Ankunft im bulgarischen Dorf an der Grenze zu Griechenland, der Entdeckung der Umgebung inklusive der lokalen Bevölkerung bis hin zum Duell, das sich im Laufe des Films zwischen den zwei Protagonisten zuspitzt – ein Element, nach welchem der Film unter anderem benannt wurde.
Mit den beiden Kontrahenten Meinhard und Vincent schafft Grisebach aber nicht nur eine Annäherung an ein Filmgenre, sie führt dem Publikum auch vor Augen, wie unterschiedlich man einer anderen Kultur, anderen Menschen begegnen kann und welche Beziehungen aus diesen verschiedenen Begegnungsweisen resultieren können. Meinhard verkörpert den Helden im Film und ist doch ein atypischer Held, nicht mehr der Jüngste und eigentlich auch nicht der Auffälligste in der Gruppe Männer, die der Bauführer Vincent um sich versammelt hat. Und kaum schlägt man sich auf die Seite dieses Helden, zeigt auch der sich von seiner Schwachseite und man merkt: Nobody's perfect. In Western ist tatsächlich niemand perfekt, umso natürlicher wirkt der Film auch – nicht zuletzt dank den starken Laiendarstellerinnen und -darstellern, die allesamt Hauptrollen belegen."
Trigon
Drehort Deutschland, Bulgarien 2017 |
Laufzeit 119 Minuten |
Verleih Trigon Film |
Regie Valeska Grisebach |
Darsteller Viara Borisova, Veneta Fragnova, Syuleyman Alilov Letifov, Meinhard Neumann, Detlef Schaich, Reinhardt Wetrek, Waldemar Zang |
Sprache OV/df |
Altersempfehlung 16/14 |
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